Laut einem Interview [1] des Spiegel mit dem EU-Industriekommissar Günter Verheugen hat ein Regierungswechsel keinen Einfluß auf die Gespräche mit der Türkei.
SPIEGEL ONLINE: Herr Verheugen, haben sich die Zukunftschancen der Türkei für einen EU-Beitritt nun verändert, weil die Bundesrepublik auf eine große Koalition zusteuert?
Verheugen: Nein. Es war seit langem klar, dass ein Regierungswechsel in Deutschland darauf keinen Einfluss haben würde. Die Verhandlungen beginnen. Sie werden lange dauern. Wenn sie erfolgreich sind, dann werden wir eine tiefgreifend veränderte Türkei haben. Eine Türkei, die der Europäischen Union beitreten kann, wird eine voll entwickelte Demokratie sein, ein voll entwickelter Rechtsstaat, ein Land, in dem die Menschenrechte vollständig beachtet werden.
Unabhängig davon wie man zu einer Mitgliedschaft der Türkei in der EU steht, ist diese Aussage auch bezeichnend für den Zustand der EU. Unbestreitbar wird der Beitritt die derzeitigen EU-Mitgliedsstaaten viel Geld kosten und es werden sich nach einem Beitritt die politischen Gewichte verschieben [2]. Ebenso werden von der Türkei enorme Veränderungen verlangt werden und bisher ist noch unklar ob sich die türkische Bevölkerung wirklich über die Folgen im Klaren ist. Aber die Aussage von Verheugen zeigt noch einen anderen Aspekt der EU auf, der auch der Türkei zu denken geben sollte: Mangelnde Demokratie. Selbst Wahlen in einem der größten und wichtigsten Mitgliedsländer der EU — heute Deutschland, morgen Frankreich, übermorgen vielleicht die Türkei — haben schon jetzt keinen Einfluß auf Abläufe in der EU. Ein Volk, welches einmal der EU beigetreten ist, hat in der derzeitigen EU praktisch keinerlei demokratische Möglichkeiten an eingeleiteten Entscheidungsprozessen teilzuhaben, muß aber alle Folgen tragen. Es ist sicherlich sinnvoll, daß nicht jede Wahl die gesamte in EU in Frage stellt, aber daß bei wesentlichen Fragen Wahlergebnisse rundweg wirkungslos bleiben, kann auch nicht der Sinn der Sache sein. Kein Eurokrat muß sich unter diesen Umständen über die EU-Verdrossenheit wundern.
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